Antje anderswo
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Kategoriewolke
So postete „Bellchen“ neulich unter meinem Blogpost uber Tierethik einen Link zu einer Zeitschrift, in der auch ein Artikel zu dem Thema stand. Noch interessanter war aber die Zeitschrift selbst, die ich namlich noch nicht kannte: Sie hei?t „Queerulantin“, und das Thema der betreffenden Ausgabe Nr. 6 (pdf) war „Lebensrealitaten von Girl Fags und Dyke Guys“.
Ich hatte weder von dem einen noch von dem anderen bis dahin etwas gehort (das Konzept „queer“ ist eher nicht so meins), aber las mich schnell fest und fand heraus, dass es um schwule Frauen und lesbische Manner ging.
Ha, fragen jetzt vielleicht einige, was soll das denn sein? Sind „schwule Frauen“ (also Frauen, die sexuell Manner begehren) bzw. eben „lesbische Manner“ (also Manner, die auf Frauen stehen), denn nicht ganz normale Heteras beziehungsweise Heteros?
Nein, weil es bei Queer ja um mehr geht als darum, mit wem man Sex haben will. Es geht vor allem darum, wie die eigene Lebens- und Begehrensform interagiert mit der Umwelt, wie sie wahrgenommen, also „gelesen“ wird und in welchem Verhaltnis sie zu verbreiteten Vorstellungen davon steht, wie Geschlecht zu sein hat und wie nicht. Queer ist, was nicht der Norm entspricht bzw. die Norm unterlauft, hinterfragt, eben „durchquert“.
Insofern leuchtete es mir schnell ein, dass es „schwule Frauen“ und „lesbische Manner“ gibt, also Frauen, die zwar Manner lieben, aber nicht auf „weibliche“, sondern eher „mannliche“ Weise und Manner, die Frauen lieben, aber sich dabei nicht verhalten, wie Manner „normalerweise“, sondern eher wie Lesben. Mir fallen gerade fur Letzteres spontan welche ein, die ich kenne, und mir steht der Unterschied klar vor Augen: zwischen „heterosexuellen Mannern, die auf Frauen stehen“ und eben eher „lesbischen Mannern“. Letztere kann ich zum Beispiel zu einer Lesbenfeier mitnehmen, ohne dass sie sich unwohl fuhlen oder daneben benehmen, erstere nicht so ohne weiteres.
Aber obwohl ich beim Lesen des Heftes sofort einsah, dass lesbische Manner und heterosexuelle Manner zwei vollig unterschiedliche „Sorten“ von Begehrensformen sind, sprang auch sofort wieder meine Skepsis gegen das Konzept der „sexuellen Identitat“ wieder an. Denn dieser Mechanismus ist halt so: Je mehr Unterkategorien wir aufmachen, umso normierter wird die Norm.
So wie bei dem (inzwischen weitgehend ausgestorbenen, oder?) Sprechen von „Frauen und Lesben“, wie in den 1970ern verbreitet, durch das „Herausnehmen“ der Lesben aus der Kategorie „Frauen“ die Heterosexualitat als Norm bei den Ubriggebliebenen verfestigt wurde, so wird durch das Herausnehmen der „lesbischen Manner“ aus der Kategorie der „heterosexuellen Manner“ diese mannliche Heterosexualitat um eine Variante armer, ruckt naher ans Klischee.
Und ebenfalls einen Schritt naher rucken wir so, also durch das standige weitere Ausdifferenzieren von Geschlechtsidentitaten, hin in Richtung Unendlichkeit. Ich befurchte, dass im Zuge dieser Entwicklung die Geschlechterdifferenz abhanden kommt und wir dann wieder bei der Norm des Mannlichen landen. Denn unendlich viele Verschiedene sind nicht mehr wirklich verschieden, sondern nur noch Varianten des Einen. Wenn irgendwann jeder Mensch ein eigenes Geschlecht hat, gibt es keine Geschlechter mehr. Unterscheidungen ergeben nur Sinn, wenn nicht alles und jedes unterschieden wird, wenn also irgendwelche „Gruppen“ ubrigbleiben, die voneinander unterschieden werden konnen.
An dieser Stelle kommt oft die Erklarung, dass es im Queerfeminismus keineswegs darum gehe, das Geschlecht abzuschaffen, sondern nur darum, die Binaritat von Weiblich/Mannlich aufzulosen und Raum zu schaffen fur mehr Vielfalt. Allerdings ist das nicht bei allen so. In einem Interview mit uber die neuen Gender-Optionen bei Facebook sagt etwa Faustin Vierrath vom Verein „TransInterQueer“ als Antwort auf die Frage, wie viele Geschlechter es geben sollte_konnte: „Die Zahl existierender Geschlechter festlegen zu wollen, ist immer willkurlich. Personlich tippe ich auf gut 7 Milliarden, mit steigender Tendenz.“
In der betreffenden Ausgabe der Queerulantin wird bereits thematisiert, dass es unter den lesbischen Mannern und den schwulen Frauen wiederum eine gro?e Bandbreite gibt: „Manche Girlfags definieren sich ganz als weiblich – trotz ihrer schwulen sexuellen Orientierung. Andere tun dies nicht, sie sehen sich eher als mannlich, wollten moglicherweise „schon immer lieber ein Junge sein“ … Dennoch definieren sie sich nicht als Trans*Manner, sondern sehen sich noch irgendwo „dazwischen“, so wie die cissexuellen Girlfags sich eben nicht als „cis*Hetera“ sehen, sondern ebenfalls an einem anderen Punkt der Achse.“
Es ist also deutlich, dass noch weitere Unterscheidungen und immer neue Kategorien kommen werden, und auch wenn wir naturlich noch weit von der von mir befurchteten Unendlichkeit weg sind, fangt die Logikerin in mir bereits an, die Stirn kraus zu ziehen. Etwas weniger als fruher, seit mir eine Bekannte im besthookupwebsites.org/de/plenty-of-fish-review Gesprach die Vorlaufigkeit all dieser Theorien plausibel machte. Sie half mir, „Queer“ als politische Praxis zu verstehen, die jeweils die Aufmerksamkeit auf einen bislang zu kurz gekommenen Aspekt sexueller Vielfalt legt, und nicht als theoretisches Konstrukt, das Geschlechtlichkeit erklart. Als erstes funktioniert es, als zweites nicht.
Insofern kann ich Queerfeminismus als Praxis nachvollziehen und sehe die guten Seiten daran. Aber eben nicht als Theorie (mein Verstandnis von Praxis entspricht ungefahr dem, was Chiara Zamboni hier beschrieben hat).
Jedenfalls kann es meiner Meinung nach nicht das Ziel sein, irgendwann mal unendlich viele Geschlechter zu haben, denn das ware dasselbe, wie nur noch ein Geschlecht zu haben, und dieses – DER MENSCH – ist mannlich. Dann lieber zwei binare Geschlechter als nur eines, das ist jedenfalls meine Meinung.
Obwohl – vielleicht ist das ja auch der unausweichliche Gang der Dinge. Und an dem Tag, wo jeder Mensch ein anderes Geschlecht hat, konnten wir dann anfangen (und diesmal bitte ohne Rollenstereotype), wieder diejenige Unterscheidung zu treffen, die aufgrund von biologischen Gegebenheiten tatsachlich besteht: Die zwischen Menschen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit schwanger werden konnen, und solchen, die das mit Sicherheit nicht konnen. Warum diese Unterscheidung wichtig ist und gesellschaftlich berucksichtigt werden muss, habe ich in diesem Blog bereits beschrieben.